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PD Dr. med. Karsten Labs: Schulterschmerzen des Volleyballers

Das Schultergelenk ist das beweglichste Gelenk des menschlichen Körpers. Es vereinigt eine relativ kleine Gelenkpfanne mit einem kugelgeformten Kopf. Nur ein komplizierter Aufbau der passiven Stabilisatoren Gelenklippe und Kapsel-Band-Apparat sowie den dynamischen Stabilisatoren der Rotatorenmanschette ermöglichen das große Bewegungsausmaß des Schultergelenks.

Zahlreiche, sogenannte Überkopfsportler, wie Volleyballer erleben im Laufe ihrer aktiven Spielzeit Schulterschmerzen in der Schlagschulter. Das Verständnis für die Entstehung dieser schmerzhaften Schultergelenkerkrankung ist in der Vergangenheit oft fehl gedeutet und auch die therapeutischen Maßnahmen nicht adäquat eingesetzt worden.

Trainer und Betreuer von Volleyballspielern bemerken, dass die Angriffstechnik sich verschlechtert und assoziieren dies mit der Entstehung von Schulterschmerzen. Behandelnde Ärzte dagegen interpretieren das Symptom Schulterschmerz häufig als Beschwerdekomplex der Bizepssehne oder des Subakromialraumes (Bereich zwischen Schultergelenk, Rotatorenmanschette und Schulterhöhe). Bei schmerzhafter Therapieresistenz wird leider häufig unkritisch und konzeptionslos die Indikation zur Schultergelenkoperation mit subakromialer Dekompression (Raumschaffung bei Engpasssyndrom) gestellt. Diese therapeutische Maßnahme ist beim jungendlichen und erwachsenen Sportler absolut kontraindiziert und kann nicht das Schulterproblem adressieren.

Im Folgenden wird der Zusammenhang des Entstehungsmechanismus der schmerzhaften Volleyballerschulter aufklärt, die Warnsymptome der Betroffenen benannt, den Therapeuten einen Therapiealgorithmus aufgezeigt und den Trainern Präventionsmaßnahmen dargelegt.

Beim Angriffsschlag der Volleyballer in maximaler Abspreiz- und Außenrotations-bewegung kommt es zu einer funktionellen Einklemmung der hinteren anatomischen Strukturen des Schultergelenks. Diese Einklemmung der hinteren Gelenkkapsel und Anteile der Rotatorenmanschette kann lange Zeit ohne klinische Symptome und Folgen bleiben. Es handelt sich um eine physiologische Einklemmung. Durch die stereotypen Bewegungsabläufe des Angriffsschlags kann der hintere unterer Kapselbandapparat gereizt und initial auch durchaus Schmerzen im hinteren Schultergelenkanteil verursachen. Die wiederholten Reizungen des Kapsel-Band-Apparates führen zu strukturellen Veränderungen im Sinne von Gewebeverände-rungen mit Elastizitätsverlust und Verkürzungen. Diese Verkürzungen haben dann zur Folge, dass sich das Kapselvolumen des Schultergelenks verringert und sich erste Bewegungsverluste insbesondere der Innenrotation einstellen. Da allerdings die Angriffsbewegungen immer weiter im Training und Wettkampf ausgeführt werden, versucht die Kugel des Schultergelenks sich den erforderlichen Raum für die Schultergelenkbeweglichkeit im vorderen Gelenkkapselbereich zu suchen. Es kommt dadurch zur Verlagerung des Drehzentrums am Schultergelenk und bei maximaler Abspreiz- und Außenrotationsbewegung zum Vorwärtsgleiten des Oberarmkopfs gegen die vordere Gelenkkapsel. Dies hat wiederum zur Folge, dass die vordere Schultergelenkkapsel ständig schmerzhaft gereizt wird und die Kapselstrukturen sich erweitern (CAM-Impingement – Nockenwelle). Es kann im Extremfall bei ausgeprägter hinterer Kapselverkürzung und vorderer Kapselerweiterung zu „fast“ vorderen Gelenkauskugelungen kommen. Bei fortgeschrittenen Formen können auch strukturelle Veränderungen mit Teilablösungen des Bizepsankers der oberen hinteren Gelenklippe (SLAP- Läsionen) auftreten.

Die Sportler bemerken häufig initial einen unterschwelligen Schmerz im hinteren Schulterbereich. Im fortgeschrittenen Stadium werden die Schmerzen auf den vorderen Schulterbereich projiziert und nicht selten als Entzündung der langen Bizepssehne fehlinterpretiert. Subjektiv empfindet der Sportler keinen Verlust der Beweglichkeit des Schultergelenkes, allerdings stellen sich frühzeitig Meid-bewegungen ein. Der optimale höchste Abschlagpunkt verursacht Schulter-schmerzen und wird aus diesem Grund durch eine reaktive Armeinkürzung gemieden. Hier werden spätestens die technischen Veränderungen in der Schlagbewegung auffällig und sichtbar. Während im Beachvolleyball lange Zeit diese Probleme durch taktische Schlagvarianten maskiert werden können, sind diese im Hallenvolleyball nicht zu kompensieren. Nicht selten berichten die Sportler, dass sie insbesondere die Schmerzen beim Einschlagen bemerken. Wenn sie ausreichend erwärmt sind, verringern sich diese. Anders dagegen empfinden einige Sportler beim Abschlag des Balls am höchsten Punkt einen plötzlich einsetzenden Sekundenschmerz, der nach Heranführen des Arms an den Körper sofort vergeht. Im amerikanischen Sprachgebrauch wird dieses Phänomen als „dead arm sign“ bezeichnet. Die Ursache ist eine vordere „fast“ Auskugelung des Schultergelenks, wobei die Schmerzen nach Spontaneinstellung (Reposition) der korrespondierenden Gelenkflächen nicht mehr vorhanden sind.

Bei der klinischen Untersuchung sind auf den ersten Blick keine nennenswerten Bewegungseinschränkungen zu erkennen. Dies steht im völligen Gegensatz zum sogenannten subakromialen Engpasssyndrom. Erst bei gezielter Untersuchung der hinteren Schultergelenkkapsel demaskieren sich Bewegungsdefizite. So kann in der Regel die Horizontaladduktion (Heranführen des 90° abgespreizten und gestreckten Arms zur Gegenseite im Seitenvergleich verringert sein. Gleiches gilt in Seitenlage auf der unbetroffenen Seite, Fixierung des Schulterblattes und ebenfalls Horizontaladduktion. Noch auffälliger ist der krankhaft veränderte Bewegungsverlust bei 90° abgespreiztem Schultergelenk und maximaler Innenrotation. Diese Untersuchung kann beim stehenden oder liegenden Sportler erfolgen. Letztlich kann der Sportler auch in Seitenlage der betroffenen Seite bei 90° abgespreiztem Schultergelenk und 90° Ellenbogengelenkbeugung die Innenrotation getestet werden. Normalerweise kann bei uneingeschränkter Beweglichkeit die Untersuchungsliege mit der Hand erreicht werden. Dieser Verlust der Innenrotationsfähigkeit bei Überkopfsportlern wurde erstmals von BURKHART (2000) beschrieben und als GIRD (Glenohumeral internal rotation deficit) bezeichnet.

Die vordere Pseudoinstabilität kann mit pathologieorientierten Untersuchungstest problemlos differenziert werden. Es kann zu einer Schmerzentstehung kommen, wenn der Sportler die Hand hinter den Kopf legt, sogenannter Nackengriff. Die Position provoziert das passive Vorwärtsgleiten des Oberarmkopfes gegen die Gelenkkapsel. Bei den aktiven Untersuchungstests wird durch die Kraft des Untersuchers die Gleitbewegung des Oberarmkopfes provoziert. Hierzu zählt das obere Apprehensionszeichen. Der Untersucher steht hinter dem Sportler und fixiert das Schulterblatt. In 90° und 120° Abspreiz- und Außenrotationsstellung wird dann ein Daumendruck auf den Oberarmkopf ausgeführt. Diese Manipulation bewirkt ein Vorwärtsgleiten des Oberarmkopfes gegen den vorderen Kapsel-Gelenklippen-Komplex und führt ebenfalls zur Schmerzentstehung. Letztlich ist der sogenannte Load and shift Test hochsensitiv. Der Sportler liegt auf dem Rücken, das Schultergelenk wird abgespreizt und außenrotiert. Mit stärkerer Außenrotation kommt es zum Vorwärtsgleiten des Oberarmkopfes und zur Schmerzentstehung. Legt der Untersucher nun die Hand auf die Innenseite des Oberarms und drückt den Oberarmkopf zurück, kommt es spontan zur Aufhebung der Schmerzen.

Die Diagnose kann durch eine bildgebende Diagnostik (Röntgen, Ultraschall, MRT) ergänzt werden, wobei es sich lediglich um ergänzende Methoden und den Ausschluss von entzündlichen sowie strukturellen Veränderungen handelt. Die Priorität der Diagnostik liegt eindeutig in der Befragung des Sportlers und der gezielten klinischen Untersuchung.

Die therapeutischen Möglichkeiten sind multimodal und richten sich nach dem Verlauf der Erkrankung. Bei akuten Erstbeschwerden sollten eine temporäre Belastungsreduktion (1-2 Wochen), keine Überkopftrainingstätigkeiten, lokale Kühlung, systemische Einnahme von nichtsteroidalen Antirheumatika, lokale Elektroschmerztherapie (TENS), muskuläre Humeruskopfzentrierung (z.B. Theraband) und eine manualtherapeutische Behandlung eingesetzt werden.

Bei chronischen Verlaufsformen (> 3 Wochen) muss das Training nicht zwingend unterbrochen werden, allerdings sollte vor jeder Trainingsaufnahme eine intensive Dehnung der dorsalen Schulterkapsel erfolgen. Weiterführend kann einmalig in den Bereich der vorderen Schultergelenkkapsel ein Kortisonpräparat in Kombination mit einem lokalen Betäubungsmittel appliziert werden. Diese Maßnahme kann zwar die Ursache nicht beheben, aber es wird hierdurch möglich, den Schmerzkreislauf zu durchbrechen. Hierdurch können auch schmerzbedingte Bewegungsverluste positiv beeinflusst werden. Sind Sportler nach der Injektion nicht spontan beschwerdefrei, muss die weitere differentialdiagnostische Abklärung mit einer Magnetresonanz-tomographie erzwungen werden. Eine lokale Röntgenschmerzbestrahlung ist aufgrund des jungen Alters der Patienten nicht zu empfehlen.

Bei chronifizierten Verläufen mit ausgeprägter hinterer Kapselkontraktur und entsprechend signifikanten Bewegungsverlusten gilt der Leitsatz: „Mobilität vor Stabilität“. Es ist demzufolge nicht zu empfehlen, wie es sich leider zu oft in der Praxis zeigt, die Schmerzproblematik mit konventionellen Schulterstabilisierungs-maßnahmen zu therapieren. Diese Maßnahme ergibt in dieser Phase des Krankheitsprozesses absolut keinen Sinn. Eine muskuläre Kräftigung des schon bewegungsgestörten Gelenkes mit muskulären und kapsulären Imbalancen kann die Beschwerdesymptomatik sogar verschlimmern. Im Focus der Therapie sollten Dehnungsmaßnahmen durch geschulte krankengymnastische und manualtherapeutische Maßnahmen stehen. Bewährt hat sich die Technik der postisometrischen Relaxation.

Erst wenn das physiologische Bewegungsausmaß wieder erreicht wurde, können uneingeschränkt Stabilisierungsmaßnahmen, im Wesentlichen durch Selbsttraining, durchgeführt werden.

In der Mehrzahl der Fälle lässt sich die Schulterproblematik erfolgreich nicht operativ behandeln. Kommt es unter den eingesetzten Maßnahmen nicht zur Schmerzreduktion und zum Persistieren der Beschwerdesymptomatik ist eine Schulterarthroskopie indiziert. Hierbei sind entsprechend den gefundenen Veränderungen eine Glättung der Gelenklippe und der Rotatorenmanschette erforderlich, eine Fixierung der instabilen oberen oder vorderen Gelenklippe, eine ventrale Kapselplikatur und das obligate Kapselrelease der hinteren unteren Gelenkkapsel. Eine entsprechende krankengymnastische Nachbehandlung nach den Rehabilitationsvorgaben des Operateurs ist essentiell.

Die Prävention derartiger erworbener Schultererkrankungen ist in allen Alters- und Leistungsklassen des Volleyballs von enormer Wichtigkeit. Es handelt sich definitiv um eine vermeidbare Erkrankung, wenn die entsprechenden Warnsymptome und Defizite erkannt werden. Hierzu ist vor allem der Trainer und Ausbilder gefordert. Regelmäßige Dehnungsmaßnahmen der hinteren Schultergelenkkapsel, speziell der Innenrotation, nach dem Training und Wettkampf ist Grundvoraussetzung zur Vermeidung der Bewegungsimbalance. Auch ständige Selbstkontrollen der Athleten sind für die Detektion derartiger Veränderungen hilfreich.

 

Zusammenfassung:

  • der Schulterschmerz eines Volleyballers ist häufig auf der Grundlage wiederholter Fehlbelastungen mit einer hinteren Kapselkontraktur verbunden
  • die Ursachen liegen im hinteren Schulterbereich, die Symptome sind in der Regel im vorderen Schulteranteil
  • die Schlagtechnik verändert sich mit der Schmerzentstehung, die Schmerzen sind Ursache und nicht Folge einer schlechten Technik
  • eine Operation ist nur in Ausnahmefällen erforderlich
  • gezieltes Dehnen der hinteren Kapsel kann die Entstehung der Schulterproblematik vermeiden

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